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materialunabhängige Hintergrundinformationen

Verformungen

Noch bevor aus statischer Sicht eine Gefahr für die Tragfähigkeit besteht, führen Einwirkungen (z. B. in Form von Eigengewicht, Schnee, Nutzlast) bei Tragwerken unweigerlich zu mitunter deutlich erkennbaren Verformungen. Im Sinne der Gebrauchstauglichkeit gilt es diese jedoch zu begrenzen, wobei in der Regel zwischen zwei Fällen unterschieden wird:

  1. Verformungen, welche zu Schäden an nachgeordneten Bauteilen führen (nicht umkehrbar) und
  2. Verformungen, welche das architektonische (optische) Erscheinungsbild beeinträchtigen (umkehrbar)
    (vergl. ON EN 1990 (2013) [1]).

Die Kriterien der Gebrauchstauglichkeit (also auch die zulässigen Verformungen) können entsprechend den Nutzungsanforderungen festgelegt und mit dem Bauherrn vereinbart werden. Im Wesentlichen bewegen sich die zulässigen vertikalen Durchbiegungen jedoch zwischen l/200 und l/300 (l … Spannweite des betrachteten Bauteils). Für besondere Bauteile (z. B. Kranbahnen) können aber auch wesentlich geringere Verformungen gefordert sein. Die Begrenzung von horizontale Verschiebungen bewegen sich üblicherweise in einem Bereich von H/150 bis H/300 (H … Gebäudehöhe) (vergl. ON EN 1990 (2013) [1], ON B 1990-1 (2013) [2] sowie ON B 1995-1-1 (2015) [3]).

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass mit freiem Auge erkennbare Verformungen häufig auf ein hohes Lastniveau hinweisen, jedoch nicht automatisch auf eine nicht ausreichend gegebene Tragfähigkeit geschlossen werden kann. Im Zweifel muss aber jedenfalls eine fachkundige Person zu Rate gezogen werden.

Zusatzlasten und Überlasten

Auch wenn statische Berechnungen in der Regel Tragreserven und Sicherheiten im Hinblick auf die angesetzten Lasten berücksichtigen, sollte von zusätzlichen Beanspruchungen (auch kurzfristigen Überlasten) ohne statischen Nachweis Abstand genommen werden. Demzufolge sind sämtliche Sachverhalte, welche zu einer zusätzlichen oder veränderten statischen Beanspruchung der Tragstruktur führen können, durch eine besonders fachkundige Person zu überprüfen.

Als Beispiele können genannt werden:

Hiervon ausgenommen sind lediglich jene Vorhaben, welche in der ursprünglichen statischen Berechnung bereits explizit berücksichtigt wurden und (im Idealfall) im Objektbuch festgehalten sind. Insbesondere im alpinen Raum können extreme Witterungsbedingungen (speziell im Winter), jedoch auch ohne menschliches Zutun eine Überbelastung der Tragstruktur bewirken. Neben länger anhaltenden Frost- und Tauperioden sowie Eisbildung ist hierbei besonders die Beanspruchung durch starken Schneefall hervorzuheben. Unbeachtet kann dies zu einer Gefährdung der Tragsicherheit führen.

In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, dass die Schneehöhe alleine keine wesentliche Aussagekraft bezüglich der auf dem Dach befindlichen Last ermöglicht. Schnee in seinen verschiedenen Formen, angefangen von Pulverschnee über trockenen (gesetzten) Schnee bis hin zu nassem Firnschnee, kann ein sehr unterschiedliches Gewicht besitzen (ca. 30 bis 800 kg/m3); vergleiche Schwind (2009) [4]. Überdies ist gemäß ON EN 1991-1-3 (2016) [5] in Gegenden, in denen Regenfälle auf den liegenden Schnee sowie nachfolgendes Schmelzen und Wiedergefrieren möglich ist, und insbesondere in Fällen, in denen Schnee und Eis das Entwässerungssystem blockieren können, mit erhöhten Schneelasten zu rechnen.

Demzufolge kann es notwendig werden, das Schneegewicht auf dem Dach und somit die tatsächliche Schneelast zu bestimmen. Wird die rechnerische Schneelast erreicht (diese sollte im Objektbuch beschrieben sein), muss eine Nutzung des Bauwerkes bzw. des Tragwerkes untersagt und die Räumung der Dachfläche veranlasst werden!

Ermittlung der tatsächlichen Schneelast auf Dächern

Vorbemerkungen

Die nachfolgende Anleitung dient zur Ermittlung der tatsächlich vorhandenen Schneelast auf Dächern und ist Winter (2007) [6] entnommen.

Die Probenahme hat an drei bis vier Stellen zu erfolgen und sollte von einer fachkundigen Person durchgeführt werden. Bereiche mit besonderen Schneehöhen sind gesondert zu erfassen. Dazu gehören Schneeanhäufungen durch Schneeverwehungen, Schneesackbildung in Dachgräben, Dachkehlen, Sheddächern und Bereiche oberhalb von Schneefanggittern sowie Dachflächen mit abgerutschten Schneemassen von Nachbardächern.

erforderliche Hilfsmittel:

Schneeentnahme

  1. Lotrechtes Einstecken des Rohres in den Schnee bis auf die Dachhaut, ggf. mit Hilfe vorsichtiger Drehbewegungen.
  2. Entfernen des am Rohr anliegenden Schnees.
  3. Bei geneigten Dächern: Schwenken des Rohres bis in die Senkrechte zur Dachfläche, so dass das Rohr vollflächig auf der Dachhaut aufsteht.
  4. Sicherung des im Rohr befindlichen Schnees durch Einschieben des Metallblechs bzw. der Kunststoffplatte zwischen Rohr und Dachhaut.
  5. Umfüllen des mit dem Rohr entnommenen Schnees in bereitstehendes Gefäß und Dokumentation der Entnahmestelle.
Schneeentnahme
Abb. 1: Entnahme einer Schneeprobe am Dach gemäß Winter (2007) [6]

Errechnung der Schneelast:

  1. Wiegen der (ggf. geschmolzenen) Schneemasse (ohne Gefäßgewicht). Das Ergebnis ist die Schneemasse in [kg] bezogen auf eine Fläche mit Ø = 200 mm (A0,2 = 0,0314 m²).
  2. Berechnung der Schneelast s bezogen auf einen Quadratmeter Grundrissprojektion der Dachfläche gemäß Glg. \eqref{eq:eqn_schneelast}:

\begin{equation} \label{eq:eqn_schneelast} s = 0,00981 \cdot m_{0,2} / A_{0,2} = 0,312 \cdot m_{0,2} \end{equation}

s Schneelast im Bereich der Probenentnahme [kN/m²]
A0,2 Grundfläche des verwendeten Rohrs [m²]
m0,2 Schneemasse im Rohr in [kg]

Anmerkung:
Der Vorfaktor 0,312 gilt für Rohrinnendurchmesser von 200 mm.

Berechnungsbeispiel (Entnahme mit einem Rohrinnendurchmesser von 200 mm):

gewogene Schneemasse m0,2 = 5,0 kg
berechnete Schneelast s = 0,312·5,0 = 1,56 kN/m²

Umbauten und/oder Änderung der Nutzung

Sowohl die Tragfähigkeit, als auch die Gebrauchstauglichkeit und die Dauerhaftigkeit von Bauwerken bzw. Bauwerksteilen wird maßgeblich von den auftretenden Belastungen und dem herrschenden Umgebungsklima beeinflusst. Durch Umbauten und/oder Nutzungsänderungen werden diese Aspekte häufig wesentlich verändert.

Demzufolge sind solche Vorhaben im Vorfeld umfassend zu planen, im Zweifelsfall mit einer fachkundigen Person zu besprechen und ordnungsgemäß umzusetzen.

Im Folgenden einige Beispiele:

Unabhängig von mikroklimatischen oder lasttechnischen Veränderungen sind auch jegliche nachträgliche Änderungen am Tragwerk selbst – vor deren Ausführung – von einer fachkundigen Person zu beurteilen. Insbesondere Trägerdurchbrüche oder Schlitzungen für z. B. neue oder zusätzliche Installationen können, an ungünstigen Stellen liegend ausgeführt, zur Verringerung – bis hin zum Verlust – der Tragfähigkeit führen.

Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sämtliche Veränderungen am Tragwerk, Umbauten und Nutzungsänderungen im Objektbuch festgehalten werden sollten.


[1] , ON EN 1990 (2013), ‘Eurocode - Grundlagen der Tragwerksplanung (konsolidierte Fassung)’.
[2] ON B 1990-1 (2013), ‘Eurocode - Grundlagen der Tragwerksplanung - Teil 1: Hochbau’.
[3] ON B 1995-1-1 (2015), ‘Eurocode 5: Design of timber structures - Part 1-1: General - Common rules and rules for buildings (National specifications for the implementation of ON EN 1995-1-1, national comments and national supplements)’. (in German).
[4] Schwind, W. (2009), ‘Die neue Schneelastnorm DIN 1055-5, kritisch hinterfragt’, Bautechnik 86(10), 620–627.
[5] ON EN 1991-1-3 (2016), ‘Eurocode 1 - Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-3: Allgemeine Einwirkungen - Schneelasten (konsolidierte Fassung)’.
[6] , Winter, S. (2007), Leitfaden zur Gebäudeüberprüfung und Vorgehen bei der Gebäudeuntersuchung, in ‘13. Internationales Holzbau-Forum 2007’, Garmisch-Partenkirchen.